work in progress: Der Schlüsselbeißer

Schlüsselbeißen oder Bartbeißen ist ein alter Handwerksbrauch. Es bezeichnet den Initiationsritus der Schlosser: wenn ein Auszubildender seine Lehrzeit erfolgreich abgeschlossen hat, wird ihm von einem Altgesellen ein Schlüssel in den Mund gesteckt und dreimal umgedreht. Je nach Größe des Schlüssel ist das mit erheblichen Schmerzen oder gar Verletzungen verbunden. Durch dieses sinnbildliche Lösen der Zunge unter Anwendung grober Gewalt wird der Ausgebildete in den Kreis der Gesellen aufgenommen und darf nun seine eigene Stimme erheben. Er hat Rederecht!

Eine literarische Steilvorlage für (m)eine Einzelgängerfigur. Hier ein Textauszug:

„Das Efeu

Die Fensterläden hatte sie den ganzen Winter nicht geöffnet. Nun waren sie zugewachsen. Utz zersägte zuerst die fingerdicken, letztjährigen Triebe, dort, wo er das Fenster vermutete. Sobald er die Holzläden sehen oder ertasten konnte, riss er an dem Gestrüpp. Meist kam so ein Großteil herunter. Danach machte er sich an die Feinarbeit. Er schwitzte und schwieg. Frau Störi stand unten, bückte sich, die Zigarette im Mundwinkel, sammelte das Gröbste ein, lange, dicke, dünne, kurze Triebe. Voller frischer Blätter. Sie warf alles auf die Schubkarre. Vielleicht aus Langeweile oder weil Utz oben nicht schnell genug vorankam, fing sie unvermittelt damit an. Dass er lange kein verständliches Wort herausgebracht habe. Dass er immer ein unbeherrschtes Kind gewesen sei. Dass er nie stillsitzen konnte. Utz stieg mit der Handsäge von der Leiter. Er brauchte nun die Astschere. Von wem redest du, fragte er im Vorbeigehen, und schob die volle Schubkarre zur Seite. Er wollte sie auf den Hänger auskippen. Beim Einkaufen, fuhr Frau Störi ungerührt fort, habe sie ihn, als er schon laufen konnte und nicht mehr im Kinderwagen sitzen wollte, an ihr Handgelenk gebunden. Auf dem Heimweg an die lange Leine genommen, wie einen Hund. Damit er nicht weglief. Wie hätte sie ihn mit den vollen Taschen sonst halten können? Du redest wie von einem fremden Kind, sagte Utz und stellte die leere Karre vor ihr ab. Ich kenne kein fremdes Kind, widersprach sie. Frau Störis Leben war ein gut gehütetes Geheimnis.“

Schriftstellerin | Übersetzerin | deutsch und polnisch